DLP – Folge 4: Ein kommunikativer Checkup

Wenn aus Buchtiteln Geschichten werden. Das literarische Puzzle bei Buch38.de. Aufgabe: Es gilt eine Anzahl vorgegebener Buchtitel nahtlos in eine Kurzgeschichte zu integrieren.
Herausforderung angenommen!


Folge 4: Ein kommunikativer Checkup

Dr. Meyering nahm gemächlich die Brille von der Nase, legte sie vor sich auf die Schreibtischunterlage und schaute ihn lange an. Martins innere Alarmglocken begannen zu läuten. Das hier schien eine unerwartete Wendung zu nehmen. Dabei war er nur zur Besprechung des jährlichen Checkups in die Praxis gekommen. Er fühlte sich vollkommen fit. Seit dem er nicht mehr in der Firma arbeitete und seinen

Ruhestand für Anfänger

genoss, wie Irene es immer nannte, ging es ihm im Großen und Ganzen prächtig. Er konnte nun wirklich nicht klagen. Er war immer noch dabei alle Dinge am Haus und auf dem Grundstück abzuarbeiten, die auf seiner Ruhestandsliste standen. Während seines Dienstes im Holzhandel, den er seit fast 35 Jahren mit Freude versehen hatte, waren sie oft liegen geblieben oder verschoben worden. Irene war nicht immer davon begeistert, aber solange er es schaffte, die wirklich wichtigen Sachen wie undichte Fensterdichtungen oder tropfende Wasserhähne zu reparieren, sah sie großzügig über alles andere hinweg. Nein, nachlässig war er gewiss nicht. Aber die Freizeit mit den Enkeln und die Reisen mit Irene waren für die innere Zufriedenheit mindestens genauso wichtig.

Dr. Meyering brach sein Schweigen:

Wofür stehen Sie morgens auf?

fragte er.

Martin sah ihn entgeistert an. Was sollte das denn werden?

Der grauhaarige Arzt lächelte. “Nun ich meine, jetzt wo Sie im Ruhestand sind, haben Sie hoffentlich einen geregelten Tagesablauf? Manch einer hat nämlich so seine Probleme, wenn der über Jahre hinweg eingefahrene Rhythmus sich plötzlich so extrem verändert. Sie wissen schon: Sinn des Lebens. Was mache ich denn jetzt den lieben langen Tag? Und so weiter.”

“Ach so. Das meinen Sie. Nein, das ist kein Problem. Ich habe meine Beschäftigungen. Und natürlich meine Frau, die Kinder und die Enkel. Und das Haus. Und das Grundstück. Na Sie wissen schon.”

“Dann bin ich beruhigt. Einige meiner anderen Patienten in Ihrer Situation haben mit dieser Umstellung teils enorme Probleme. Das nimmt schon mal seltsame Züge an.”

Martin sah ihn offensichtlich fragend an, denn er fuhr fort: “Ich darf und will ja keine Namen nennen, das ist klar. Aber wenn jemand so mir nichts dir nichts ein Wohnmobil kauft, nach

Reykjavik

fährt, um von dort aus Island zu erkunden, lässt das durchaus einige Rückschlüsse zu.”

“Aber das hört sich doch gut an.”

“Im Winter? Allein?”

“Oh. Das ist natürlich noch einmal eine ganz andere Hausnummer.” Martin musste lachen.

“Oder was auch gern genommen wird, ist mit dem Motorrad durch die USA zu düsen. Zum Beispiel mit dem Trike durch

Iowa

Alles schon da gewesen. So richtig stilecht im Easy Rider Outfit und allem was dazugehört.”

“Ehrlich?” Sicher war so ein Trip für viele eine aufregende Angelegenheit. Für Martin wäre das definitiv nichts. Motorräder hatten keine Knautschzone. Aber mit einer 69er Corvette? Das wäre durchaus überlegenswert. Er musste unwillkürlich lächeln.

“Oder zum Beispiel Herr…”, Dr. Meyering hielt sich etwas theatralisch kurz den Mund zu und sprach weiter: “Also ich meine, ein anderer Patient besuchte seinen Sohn in Afrika. Der ist dort als Wildhüter tätig. Und besagte Person meinte dann eines Tages die

Leoparden im Tempel

der sich dort im Reservat befindet, füttern zu müssen. Was beinahe schief gegangen wäre, wenn der Sohn nicht beherzt eingegriffen hätte.”

Martin bedeckte seine Augen mit der Hand und schüttelte ungläubig mit dem Kopf. Dann erklärte er: “Also wirklich, für solche Eskapaden besteht bei mir überhaupt keine Gefahr. Ich bin froh, wenn ich fit bin und meine Familie habe. Das ist für mich Abenteuer genug.”

“Das ist gut zu hören. – Aber ich verplaudere mich.” Dr. Meyering setzte die Brille wieder auf die Nase und schaute auf den vor ihm liegenden Ausdruck. “Das Thema Fitness ist bei Ihnen, wie ich sehen kann, kein Problem. Die Werte sind ausnahmslos im Normbereich für Ihr Alter. Alles bestens. Essen Sie weiterhin ab und an mal eine Ihrer geliebten

Veggie Bowls

und achten Sie ansonsten auf genügend Bewegung, seelisches Gleichgewicht und eine insgesamt ausgewogene Ernährung, dann steht dem nächsten Checkup ohne Befund nichts mehr im Wege.”

“Das höre ich gerne.”, sagte Martin und erhob sich.

Nach einer kurzen Verabschiedung verließ er das Behandlungszimmer. Er griff sich den Mantel vom Garderobenständer, grüßte noch einmal die Sprechstundenhilfe, die heftig auf einer Tastatur hämmerte und dabei versuchte den Telefonhörer zwischen Ohr und linker Schulter zu halten und trat aus der Praxis hinaus ins Freie. Kurz vor 11.00 Uhr. Das passte. Er würde rechtzeitig zum Mittagessen wieder daheim sein. Eigentlich ging er ja nur wegen Irene zu diesen Checkups. So lange er sich gesund fühlte, wäre er das auch. Das war schon immer seine Devise. Auf der anderen Seite war es jetzt trotzdem schön zu wissen, dass mit ihm alles soweit in Ordnung war.

Als er im Parkhaus den Motor seines Kombis startete, dachte er bei sich: “Ob man 69er Corvettes noch mieten kann?…” Mit verträumten Blick schaute er über die Dächer der Stadt und musste lächeln.

Dann fuhr er heim.

Ende


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Andreas König

Blogger, Freelancer, ehem. Buchhändler. Interessiert. Selbstdenker.

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