DLP – Folge 6: Der Traum

Titelbild Folge 6 Der Traum

Wenn aus Buchtiteln Geschichten werden. Das literarische Puzzle bei Buch38.de. Aufgabe: Es gilt eine Anzahl vorgegebener Buchtitel nahtlos in eine Kurzgeschichte zu integrieren.
Herausforderung angenommen!


Folge 6: Der Traum

Faul sein ist wunderschön. Dieses Lied ging ihm durch den Kopf, wie er so mit geschlossenen Augen dalag. Die Sonne wärmte ihn überall dort, wo die Schatten der Blätter des Baumes, unter dem er die Decke ausgebreitet hatte, ihn nicht abschirmten. Sich komplett in die Sonne zu legen wagte er noch nicht. Obwohl es erst später Frühling war und sie längst nicht so intensiv brannte wie im Hochsommer. Er war sowieso eher nicht der Typ für langes Sonnenbaden. Dazu war er viel zu blass. Wie sollte er auch braun werden? Er hielt sich zu viel im Inneren von Räumen auf.

Das Nachthaus

in dem sie untergebracht waren, hatte jedoch, im Gegensatz zu dem, was sein Name vermuten ließ, viele sonnendurchflutete Räume, eine große Terrasse auf der Südwestseite und einen riesigen Garten mit weitläufigen Rasenflächen und dadurch sehr wenig Schatten. Beim Blick aus dem Fenster musste er schon früh am Morgen die Augen zusammenkneifen, so hell drang das Licht in sein Zimmer.

Er genoss die freie Zeit und war froh, dieses schöne Plätzchen hier unter den Kirschbäumen gefunden zu haben. Die Wärme auf der Haut und das sanfte Rauschen der Blüten im leichten Frühlingswind taten ihm gut. In diesem Urlaub sollte ja tatsächlich die pure

Wellness

im Vordergrund stehen. Kraft würde er schon brauchen für das, was ihm bevorstand. Schon als er noch in die Mittelstufe ging, hatte er sich auf das vorbereitet, was nun endlich wahr werden sollte. Nach dem Urlaub würde er mit dem Praktikum beginnen, das im Herbst schließlich in eine Ausbildung übergehen sollte. Dann wäre es endlich so weit und er wäre auf dem Weg zum Starkoch.

Dieser Traum hatte sich im Laufe der Jahre immer mehr gefestigt, bis er endlich zu einer Gewissheit wurde, mit der er niemals gerechnet hätte. Die üblichen Berufe wie Feuerwehrmann, Pilot oder Kapitän übten zwar zeitweilig eine gewisse Faszination auf ihn aus, wurden aber immer wieder von dem einem Wunsch, nämlich ein Koch zu sein, vertrieben.

Hart würde es sicher werden, das stand außer Frage. In Küchen ging es schon mal zur Sache. Alles musste perfekt sein, schnell gehen, minutiös getaktet um am Ende beim Gast ein Feuerwerk auf den Geschmacksknospen und in der Seele zu entfachen.

Er hatte bereits früh in der Küche gestanden und beim Gemüseschneiden geholfen, Kartoffeln geschält und den Tisch gedeckt. Seine Eltern wunderten sich zwar, dass er an dieser Stelle so ganz anders tickte, als sein älterer Bruder, legten ihm auch keine Steine in den Weg, als er schließlich den Wunsch äußerte, an der Koch AG in der Schule teilzunehmen.

“Eines Tages,” hatte er verkündet, “werde ich ein großer Meisterkoch sein und das beste Gericht der Welt erfinden. Das wird

Die größte Revolution aller Zeiten

werden. Das verspreche ich euch.” Dabei strahlte er über das ganze Gesicht. Sein Vater strubbelte ihm durch die Haare und war sich ebenfalls sicher, dass es genauso kommen würde.

Plötzlich wurde er brutal aus seinen Tagträumen gerissen, als ein Ball klatschend auf ihm landete. Völlig erschrocken fuhr er hoch und hielt sich die Brust, die sofort wie Feuer zu brennen begann.

“Bist du bescheuert?”

Er sah sich um und suchte seinen Bruder. Nur er käme auf die Idee, ihm einen Ball auf die Brust zu werfen. Zumal es der einzige Ball im ganzen Ferienhaus war und er ihn den ganzen Tag nicht aus der Hand zu legen schien.

Bock auf Handball

Die Frage kam von rechts hinten, wo sein Bruder inzwischen dem runden Leder hinterhergespurtet war und es gerade aufnahm.

“Erst einmal muss ich wieder Luft bekommen, du Knaller!” Er sah an sich herab und hob den Ausschnitt seines T-Shirts an, um darunter schauen zu können. Ein großer roter Fleck glühte zwischen seinen Brustwarzen und sah aus wie eine erkaltende Herdplatte.

“Stell dich nicht so an, du Faulpelz. Nur die Harten kommen in den Garten. Du bewegst dich einfach zu wenig.” Sein um einen Kopf größerer Bruder baute sich, den Ball auf einer Fingerspitze rotieren lassend, zwischen ihm und der Sonne auf und grinste vermutlich. Die Sonnenstrahlen bildeten eine Corona um seinen drahtigen Oberkörper herum und so lag sein Gesicht fast komplett im Schatten.

Er schirmte die Augen mit der Hand ab, stand auf und schaute den Älteren wütend einen Augenblick lang an.

Unvermittelt schlug er ihm den Ball mit der flachen Hand weg und hechtete sofort hinter diesem her. Sein Bruder stutze für eine Sekunde und kurz darauf tobten die beiden über den Rasen und lieferten sich ein heftiges, aber freundschaftliches Handballmatch.

Eine halbe Stunde später sagten beide fast gleichzeitig: “Ich habe Hunger.” Sie lachten und nach einem High Five sprinteten sie zurück Richtung Haus.

Die durchnässten T-Shirts wurden über den Kopf gezogen und dann als Handtuch benutzt, um den Schweiß wenigstens etwas loszuwerden. Nachdem die benutzten Kleidungsstücke über die Brüstung des offenen Treppenhauses in den Keller geworfen waren, schauten sich die beiden jungen Männer an.

“Essen oder Duschen?”, das ist die Frage.”

Sein Bruder hielt wie einstens Hamlet einen fiktiven Totenkopf vor sich in die Höhe. Schnell war man sich einig, dass Duschen maßlos überbewertet wurde. Während der eine nun davonhastete um frische T-Shirts zu holen, begab sich der andere schon einmal in Richtung Küche und öffnete den Kühlschrank.

Was konnte er denn heute zaubern? Auswahl war jedenfalls reichlich vorhanden. Schließlich hatten sie erst gestern alles aufgefüllt, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Natürlich hätte er auch ganz nach der Devise “Keep it

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simple. Das Kochbuch

zu Rate ziehen können. Aber das war ihm natürlich viel zu profan. Ein echter Meisterkoch würde immer aus dem Vorhandenem in der Lage sein, etwas Himmlisches zu erschaffen.

Schnell war ihm klar, was es heute geben würde und so nahm er alles aus den Fächern, was er für die Zubereitung benötigte.

“Na, hast du dir etwas Schönes ausgedacht?”, fragte sein Bruder, der ihm, aus dem Schlafzimmer zurückgekehrt, ein frisches Shirt zuwarf. “Ich sterbe vor Hunger. Also beeil dich mal ein bisschen.” Er zwinkerte ihm zu.

“Willst du etwas gesundes Gutes oder nur was Schnelles zum Vollstopfen?”

Er würde es nie verstehen können, warum es seinem Bruder scheinbar egal war, was er in sich hineinschaufelte. Dabei war er bei manchen Dingen so pingelig.

“Das ist ja schon seit zwei Tagen abgelaufen.”, hatte er erst letzte Woche rumgemault und ihm eine Packung demonstrativ unter die Nase gehalten. Nach kurzer Sicht- und Geschmacksprüfung stand jedoch fest, dass mit dem Lebensmittel alles in Ordnung war.

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Alles ist gut, bis es das dann nicht mehr ist

hatte er seinen Bruder aufgeklärt und ihn ermutigt, sich auf seine Sinne zu verlassen. Schließlich bedeutete die Angabe eines Verfallsdatums lediglich “mindestens haltbar bis” und nicht “tödlich ab…”

Welcher Hersteller würde schon das Risiko eingehen, Mindesthaltbarkeitsdaten so knapp zu bemessen, nur um kurz danach einem Shitstorm oder einer Klagewelle ausgesetzt zu sein?

Später saßen sie gemeinsam auf der Terrasse und schauten über den Garten, der in der untergehenden Sonne in einem unwirklichem Licht erglühte.

“Das war wirklich lecker.”, sagte sein Bruder, der, für seine Verhältnisse, sehr ernsthaft wirkte. Sonst war er immer der Aktive, Aufgedrehtere von ihnen beiden. Immer einen flotten Spruch auf den Lippen und zu Späßen aufgelegt. Das Leben schien er nicht wirklich ernst zu nehmen. Nun war das anders.

“Du hast das richtig gut drauf, diese Kochsache. Ich bin sicher, dass du deinen Weg machen wirst, kleiner Bruder…” Er schaute herüber und lächelte.

Es war gut, das zu hören. Ja, auch er war davon überzeugt, dass sich seine Bemühungen eines Tages auszahlten. Nun würde für ihn erst einmal der Ernst des Lebens beginnen. Ja, das hörte sich etwas pathetisch an. Aber er fühlte es genau so. Endlich würde er seinem Ziel näher kommen können.

“Nein”, korrigierte er seine Gedanken. Nicht der Ernst des Leben würde beginnen. Das Leben selbst würde beginnen.

Ende


Mitwirkende: Die Aufsteiger der Woche 5/2024

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Wellness

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Andreas König

Blogger, Freelancer, ehem. Buchhändler. Interessiert. Selbstdenker.

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